geschichte vom hand drugstore
hier sammeln wir einige texte und infos rund ums hand drugstore.
Anzeige aus FIZZ 6
heißer Sommer 71. Berlin 1971, S.4
★ ANARCHIA SI... ★
hand drugstore jugendclub e. v.
1 Berlin 30, Motzstraße 24 - Tel.: 211 14 09 / 2 11 14 60
★ Im Filmrestaurant:
Sozialkritische Filme, internationale Folklore, Protestsongs, Ryth-
men und Blues, Agit/Prop-Programme
★ In der Teestube:
Ausstellungen, Lesungen, Diskussionen, 20 Sorten Tee, Brettspiele
und Kommunikation bei Kerzenlicht.
Besucht unsere Bücherstube und die Boutique.
Wir vergeben unsere beiden großen Versammlungsräume an Ar-
beits- und Hobbygruppen.
Interessierte Jugendgruppen können in unseren Räumen Veranstal-
tungen durchführen. Meldet euch bei Peter.
jugendkollektiv hand drugstore
Fahrverbindungen: A 16, A 19, A 29, A 73, A 85, U-Bahn: Nollen-
dorfplatz und Wittenbergplatz
Aus rotaprint 25 (Hg.): agit 883
Revolte Underground in Westberlin 1969-1972. Assoziation A, Hamburg/Berlin 2006, S.74-76
★ ANARCHIE ★
Neben den bestehenden und expandierenden linken Kneipen war der Republikanische Club (RC) in der Wielandstraße 27, ein Jugend-Stil-Palast“ ein wichtiger Treffpunkt. Seit Mitte 1969 gab es jedoch Unzufriedenheit gegenüber dem RC, der sich aus drei Quellen speiste. Zum einen wurde die politische Ausrichtung der als liberal betrachtete Trägergruppe kritisiert. Zum anderen reichten die RC-Räumlichkeiten anscheinend nicht mehr aus, um das aufblühende Basisleben in Initiativen, Arbeitskreisen und politischen Gruppen zu beherbergen, Neue Räume, die den »Bedürfnissen der arbeitenden Gruppen entsprechen« wurden gesucht, um dort das Sozialistische Zentrum (SZ) aufzubauen. Mit letzterem sollte auch die marktbeherrschende Position der zumeist in privaten linken Händen liegenden linken Kneipen weiter unterlaufen werden.
So hatte sich unter dem Motto »Wo bleibt das linke Geld?« ein »Initiativausschuß« gebildet, dessen Ziel es war, Gelder für das SZ zu beschaffen. Die Kernidee war, dass linke Kneipen einen festen Betrag, etwa 10 Pfennig pro halben Liter Bier abführen sollten. (…) Zudem sollten Blutspenden, Trödelmärkte oder Wahlvoraussagen, die mit Spenden verbunden waren, die Finanzierung des SZ sichern. Im März 1970 waren endlich in einem Fabrikgebäude in der Stephanstr. 60 in Moabit, Räume für das SZ angemietet worden. (…) Im Mai 1970 wurde das SZ von der Roten Hilfe verwaltet.
Eher orientiert an Trebegängern, proletarischen Jugendlichen und Drogenkonsumenten war der Jugendclub Hand Drugstore (HD) in der Schöneberger Motzstraße, der Anfang April 1971 ins Leben gerufen worden war. Neben dem SZ, in dem sich eine Informationsgruppe (Information & Agitation), eine Schulungsgruppe (Anleitung neuer Genossen), die Schwarze Hilfe sowie das Schwarzkreuz (Medizinische Betreuung) einrichteten, diente das HD als zweiter »Treffpunkt […] anderer antiautoritärer Projektgruppen«.
Dort versammelten sich neben verschiedenen Schüler- und Lehrlingsgruppen die Berliner Yippies, die sich außer in der »Subkulturagitation« in der »Fixerarbeit«. engagierten. »Fixer, die zum Entzug bereit sind« fanden hier eine Anlaufstelle.
Die Existenz des Hand Drugstore war von zahlreichen Diebstählen und internen Spannungen begleitet. Anfang 1972 fragte die Agit 883 in einem Artikel »Hand Drugstore wohin?« und berichtete über dessen verhinderte Räumung. Man betonte jedoch, dort würde nach wie vor eine »undurchsichtigen Politik« betrieben. Ähnliches berichtete das zwischenzeitlich konkurrierende Szeneblatt der Schwarzen Zellen um Peter Paul Zahl, FIZZ, in einer Reihe von Ausgaben.
Aus Ralf Reinders / Ronald Fritzsch: Die Bewegung 2. Juni
Gespräche über Haschrebellen, Lorenzentführung, Knast. Edition ID-Archiv, Berlin 1995, S.40 + S.167
1971 haben wir ja die »Yippies« gegründet, zusammen mit Knofo. Und bei Zahl haben wir die »FIZZ« gemacht, die Abspaltung von der »883«. Es gab mit der »883« den Konflikt, da die Militanten dort auf einen Schlag weg waren, weil illegal, daß dort der reformistische Flügel dominierte. Daraufhin sind die restlichen Radikalen rausgegangen (…) und haben die »FIZZ« gemacht. Das ging noch nicht einmal ein halbes Jahr, weil dann Knofo und Zahl abgetaucht sind.
1. Mai 1971: In der Hasenheide werden bei einem Smoke-In die »Yippies Westberlin« gegründet. Ein Teil geht später zur Bewegung 2. Juni. Yippies kommt von »Youth International Party«, dem politischer Ableger der Hippie-Bewegung in den USA. Es finden zahlreiche Aktionen und Kampagnen vor allem gegen den Vietnam-Krieg statt.
Aus Norbert „Knofo“ Kröcher: K. Und der Verkehr. Erinnerungen an bewegte Zeiten.
Erster Teil: 1950 – 1989. Basisdruck Verlag, Berlin 2017, S.201-202
★ ANARCHIA SI ! ★
Das Hand-Drugstore war eine ehemalige Möbelhandlung über zwei Etagen. Unten hatten wir eine Kneipe mit Tresen samt Zubehör sowie eine Verkaufsecke mit gebrauchten Schallplatten und Krimskrams auf Kommissionsbasis. Oben befanden sich eine Teestube und ein abbgetrennter Buchladen, den ich, abgesehen vom rotierenden Dienst in Kneipe und Teestube, betrieb. Das war die Geburtsstunde des ersten selbstverwalteten Jugendzentrums in Westberlin. Wir gründeten dafür sogar einen richtigen Verein. (…)
Schon bald konnten wir die Miete für das Hand-Drugstore nicht mehr bezahlen und ließen es folgerichtig sein. Unsere Publikum waren Leute wie wir: Hippies, Gammler, Trebejugendliche – Aussteiger aus der bürgerlichen Gesellschaft. Ein Stützpunkt für alle, die den Staat und das ganze dreckskapitalistische System ablehnten, zu bekämpfen versuchten – wie auch immer. Ständig wurde diskutiert, Aktionen vorbereitet. Und alle möglichen Dinge konsumiert. Wir zeigten Filme, veröffentlichten Flugblätter en masse. Im Buchladen bot ich fast ausschließlich linksradikales Schriftwerk an. Natürlich auch Raubdrucke, deren Originale sich sonst niemand leisten konnte (Zettel's Traum von Arno Schmidt u.a.m.). Eine Zeitlang war ich Mitglied im Verband Linker Buchhändler (VLB), dem Pendant zum bürgerlichen Verband der Buchhändler. Neben Undergroundfilmen zeigten wir auch gute andere Streifen, die wir als Jugendzentrum kostenlos in der Landesfilmbildstelle ausliehen. Die Brücke von Bernhard Wicki, auch heute noch einer der besten Antikriegsfilme überhaupt, lief oft bei uns. Natürlich ohne Eintrittsgeld. Die Preise in der Teestube und in der Kneipe waren so niedrig, dass wir bald üppig Schulden bei den Lieferanten hatten. Das Hand-Drugstore war erkennbar eine endliche Geschichte. Hinzu kamen Polizeirazzien und Belästigungen durch das Jugendamt, die uns halbgare Sozialarbeiter in den Laden schickten. Was auch an den zahlreichen Trebejugendlichen lag, die aus Heimen oder von zu Hause ausgerissen waren und sich bei uns Hilfe erhofften, die wir oft leisten konnten, indem wir ihnen ein Obdach besorgten oder sie einfach bei uns in der Kommune vorübergehend aufnahmen.
Aus Barbara Sichtermann, Kai Sichtermann: Das ist unser Haus
Eine Geschichte der Hausbesetzung. Aufbau Verlag, Berlin 2017, S.39-40
★ ¡ANARQUÍA SÍ! ★
Die erste Besetzung in West-Berlin fand (…) am 1. Mai 1970 im Märkischen Viertel [statt]. Das Hoffmann`s Comic Teater, aus dem später die Band Ton Steine Scherben hervorging, spielte auf dem Marktplatz der Trabantenstadt (…). Im Anschluss daran besetzten Zuschauer eine leerstehende Fabriketage in der Königshorster Straße, um diese als Freizeiträume zu nutzen. Doch (…) die Polizei (…) räumte umgehend durch rüdes Vorgehen. Zwei weitere Besetzungen gab es im darauf folgenden Jahr. Zielobjekte waren zwei Fabriketagen am Mariannenplatz 13 und das später so benannte Georg-von-Rauch-Haus.
Im Jahr 1972 kam es mit dem »hand-drugstore« in Schöneberg, dem »Jugendzentrum Tiergarten« und dem »SJSZ«, dem »Schöneberger Jungarbeiter- und Schülerzentrum« zu drei weiteren Besetzungen. Doch nur eine Aktion, die eigentlich gar keine Besetzung war, trägt bis heute Früchte. Durch die Initiative des »SSB« (»Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin e.V.«) wurde im September in der Potsdamer Straße im Stadtteil Schöneberg das Drugstore als selbstverwaltetes Kultur- und Jugendzentrum eingerichtet. Weil das »Drugstore« jedoch nur tagsüber geöffnet war und die wohnungslosen Jugendlichen mehr wollten, nämlich kollektives Wohnen in Selbstverwaltung, hatten sie sich ein leerstehendes Haus in der Wilhelmstraße 9 im Bezirk Kreuzberg ausgeguckt. Als die Verhandlungen mit dem Senat erfolglos verliefen, besetzten die jungen Leute im Februar 1973 kurzerhand das Drugstore, um so ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen. Mit Erfolg - wenig später, Anfang März, gewährte der Senat einen Nutzungsvertrag, es entstand das selbstverwaltete Jugendwohnkollektiv Tommy-Weisbecker-Haus. Auch im Berliner Bezirk Wedding kommt es 1973 zur Besetzung: ein leerstehendes Wohnhaus in der Rügener, Ecke Putbusser Straße wird in Anlehnung an den Straßennamen Putte genannt und in ein Jugendzentrum verwandelt. Leider wird die Putte schon im Mai 1974 wieder geräumt und das Haus abgerissen.
Danach war erstmal Schicht im Schacht. Knapp fünf Jahre lang tat sich nicht viel in Sachen Hausbesetzungen in West-Berlin, sieht man einmal von dem Intermezzo im Sommer 1977 ab, als in der Reichenberger Straße die Alte Feuerwache abgerissen werden sollte und Bürger die Pumpstation besetzten, um das zu verhindern - ohne Erfolg. Doch diese etwas lethargisch anmutende Besetzerenthaltsamkeit sollte sich ab 1979 rasant hin zu einem lebendigen Aktionismus verändern. Denn es gab in den späten 1960er und Anfang der 1970er Jahre eine bewegte Vorgeschichte mit tragischen Ereignissen, die längst nicht vergessen, im kollektiven Bewusstsein der Szene verankert war und nach Vergeltung rief. Der Staat hatte auf das Aufbegehren der Jugend keine Antworten parat. Im Gegenteil, statt wenigstens Verständnis und Fingerspitzengefühl zu zeigen, reagierte er mit entschiedener Ablehnung und Härte. Die gravierendsten Ereignisse waren vier tote Menschen, alle von Polizisten erschossen: Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967, Petra Schelm und Georg von Rauch 1971 sowie Thomas Weisbecker 1972. Jeder Tote war ein Schock für die Bewegung! Und alle vier wurden in irgendeiner Form zu Symbolfiguren: In Erinnerung an das Todesdatum von Ohnesorg entstand die linksradikale »Bewegung 2. Juni«, die Hausbesetzer der Hamburger Ekhofstraße nannten ihr Haus kurz vor der Räumung Petra-Schelm-Haus, und in West-Berlin gibt es bis heute die bereits erwähnten Einrichtungen Georg-von-Rauch-Haus und Tommy-Weisbecker-Haus.
Aus Der Blickpunkt Nr. 211 vom April 1972, S.31ff
hier: Archiv Rock und Revolte. Zur Geschichte der Jugendzentren in Westberlin & der BRD 1971-1973
WIR WERDEN NICHT FREIWILLIG RÄUMEN
★ BESETZT ★
Für den hand-drugstore — ein seit April 1971 auf Privatinitiative begründetes Kontakt- und Resozialisierungszentrum für gefährdete Randgruppenjugendliche wie entlassene Strafgefangene, Heimzöglinge, Drogenabhängige und Trebegänger — schien die letzte Stunde schon in den frühen Morgenstunden des 10. Januar (1972) geschlagen zu haben. Um 7.30 Uhr sollte der Gerichtsvollzieher die zwangsweise Räumung vollziehen. Grund: Die nicht beglichenen, auf 21 000 DM angewachsenen Mietschulden. Dem Aufgebot irrationaler Besatzer und polizeilicher Räumkommandos blieb die handfeste Konfrontation erspart. Denn Clubanwalt Galinski war in letzter Minute gelungen, worum Clubgeschäftsführer Jennen gerungen hatte: Der einstweilige Räumungsaufschub bis zum 29. Februar, verkündet durch das Amtsgericht Schöneberg mit dem Zusatz: „Sofern der Schuldner bis zum 15. Februar die Mietrückstände und die Nutzungsentschädigung für den laufenden Monat 3700 DM (für Erdgeschoß, 1. Etage und Kellerräume) zahlt."
Die Hausverwaltung Klaus Stutenbecker hatte dem drugstore anfangs Verständnis entgegengebracht, während der Anlaufschwierigkeiten auch befristete Mietstundung gewährt. Dem Vermieter kann also nicht ohne Einschränkung Profitgier oder böser Wille unterstellt werden, wenngleich die Monatsmiete als „um die Hälfte zu hoch" — so Landesjugendpfleger Peter Falk — kalkuliert gewesen sein dürfte. Aber darüber hätte Verwalter Stutenbecker wohl noch mit sich reden lassen, zumal er sich gegenüber den Schwierigkeiten dieser spezifischen Arbeit niemals uneinsichtig gezeigt hatte. Erst ein polemisches Flugblatt kränkte ihn massiv und funktionierte ihn zum Clubgegner um.
Wenn nun die Räumung verfügt wird, daran besteht kaum noch ein Zweifel — ist wiederum ein Stück wichtiger Sozialarbeit mit gefährdeten Jugendlichen in Berlin aufgegeben worden. Erst am 31. Dezember 1971 mußte das Forum Märkisches Viertel auch sein Engagement wegen akuten Geldmangels einstellen.
Kompetente Stellen bestätigten den drugstore-Leuten idealistischen Eifer, lobten ihren progressiven nützlichen Einsatz, würdigten ihre — wenn auch begrenzten — so doch immerhin nachgewiesenen konkreten Erfolge. Im Club trafen sich kontaktscheue Jugendliche mit Sozialarbeitern, die nicht nur ihre Probleme mit ihnen diskutierten, sondern auch bei Arbeitsvermittlung oder Wohnraumbeschaffung helfend bemüht waren und auf diese Weise verhinderten, daß ihre „Klienten" in die Kriminalität absackten.
Bedenken gegen Konsum
Schönebergs Jugendpfleger Heinz Frick nannte den Club ein „Freizeitheim besonderer Prägung", verschwieg aber nicht seine Bedenken gegenüber dem Konsumanreiz, den der Club durch Bierausschank, Cafeteria, Schallplatten-und den Buchverkauf forcierte, um dadurch seine Miet- und Personalkosten decken und aus den Überschüssen erst Sozialarbeit finanzieren zu können. Der ganze Laden war von seiner geschäftlichen Basis abhängig. Das Mitarbeiterteam begnügte sich deshalb aus Idealismus mit Mini-Gehältern. Selbst die aber wären erst gesichert, wenn das Geschäft blühte und volle Kassen machte. Von Anfang an waren deshalb die Beteiligten auf die Erwirtschaftung eines Gewinnes orientiert, kurbelten Besucherwerbung an, baten um Spenden. Subventionierung verschmähten sie aus Prinzip, weil sie fürchteten, dadurch ihre Unabhängigkeit zu verlieren. Manche warfen ihnen deswegen vor, sie setzten sich zu forsch aufs hohe Roß. Taten sie es aber nicht vielmehr auch der Optik wegen, weil sie durch die Inanspruchnahme behördlicher Finanzhilfe gerade gegenüber den staatsverdrossenen Typen hätten ungläubig erscheinen können? Diese Zielgruppe wäre ihnen möglicherweise entglitten. Auch der „Blickpunkt", der den unkonventionellen Club im Mai 1971 vorstellte, blieb trotz anerkennender Wertung der Initiative skeptisch hinsichtlich der Erfolgsaussichten. „Die Idee ist ohne Beispiel in Berlin und deshalb auf den ersten Blick bestechend", schrieben wir damals. „In der Durststrecke der ersten Jahre wird sich das Projekt unter erschwerten Bedingungen noch bewähren müssen. Danach erst kann ein gültiges Urteil gesprochen werden", fügten wir hinzu.
Schutzgelder an Gangstersyndikat?
Schneller als erwartet geriet der Club in finanzielle Bedrängnis, weil das Leitungsteam zu den notwendigen Investitionen, die aus Eigenmitteln aufgebracht wurden, Mitte 1971 auch noch einen erheblichen materiellen Schaden ersetzen mußte, den ihm Unterweltsbanden zugefügt hatten, als sie die Einrichtung demolierten und sechs Mitarbeiter und die Gäste krankenhausreif geschlagen hatten. Wie Geschäftsführer Andreas Jennen dazu ausführte, habe die abschreckende Nachwirkung auf potentielles Besucherpublikum lange Zeit angehalten, so daß der Club erst ab November 1971 wieder einen Gewinn erwirtschaften, aus diesen Beträgen Resozialisierungsarbeit finanzieren und auch mit der Schuldenregulierung beginnen konnte. Doch hätten diese Überschüsse nicht wesentlich zur Abdeckung aller Verbindlichkeiten (60000 DM, wovon allein 18000 auf angeschaffte Registrierkassen entfallen) ausgereicht. Zumal — so wird behauptet — die Clubleitung weitere Überfälle durch Schlägertrupps zu verhindern suchte, indem sie Schutzgelder an das Schöneberger Gangstersyndikat zahlte. Daß die Zuhälter die Nachtlokale der gesamten Gegend terrorisieren, ist auch der Polizei nicht unbekannt. Der hand-drugstore war ihnen ein besonderer Dorn, weil dessen Sozialarbeiter ihnen die minderjährigen Trebemädchen abspenstig machten und verhinderten, daß sie auf den Strich gingen. Als diesbezüglich Clubvorsitzender Klaus Lemcke die Hilfe der Polizei erbat, wußten die Beamten keinen anderen Rat, als ihm die Schließung des Clubs vorzuschlagen.
Um Hilfe vor der Zwangsräumung ersuchte der Clubvorstand auch die Senatsverwaltung für Familie, Jugend und Sport. Senatorin Ilse Reichel, durchaus bemüht, das Projekt zu retten, warnte jedoch von Anfang an vor übertriebenen Hoffnungen, weil öffentliche Haushalts mittel zur Abdeckung von Mieten für gewerbliche Betriebe — und ein solcher ist ungeachtet seiner gemeinnützigen Anerkennung auch der hand-drugstore — nicht zur Verfügung gestellt werden können. Kredite dieser Art kollidieren mit den Zuwendungsrichtlinien. Ebenso darf der Senat nicht für private Schulden haften.
Auch Schönebergs Bezirksbürgermeister Alfred Gleitze konnte zwar dem drugstore-Team nach wie vor sein hundertprozentiges Wohlwollen bekunden, ihm finanziell jedoch nicht unter die Arme greifen, weil ihm dafür so kurzfristig keine Mittel zur Verfügung standen. Um die Schließung zu vermeiden, berief die Senatsverwaltung eine Sitzung ein, an der neben ihren Mitarbeitern auch die Vertreter des Berliner Jugendclubs, des Landesjugendringes und Mitarbeiter des „hand-drugstore" teilnahmen.
Dilettantisch
Schon während dieser Besprechung vertiefte sich der allgemeine Eindruck, daß sich die Clubinitiatoren zwar mit ungewöhnlichem persönlichen Elan in ihre Betreuungsarbeit gestürzt, sich aber kaufmännisch übernommen hatten. Der Vorwurf des Dilettantismus konnte ihnen nicht erspart bleiben. Ihre Wirtschaftsführung war nicht nur wenig überzeugend, sie blieb auch absolut undurchsichtig und ungeordnet. Dazu Clubgeschäftsführer Jennen: „Diese Vorwürfe sind berechtigt. Erst in den letzten Wochen haben wir kaufmännisch versierte Kräfte zur Mitarbeit gewinnen können. Seitdem erst kennen wir überhaupt die Höhe unserer Schulden." In Übereinstimmung mit allen Beteiligten wurden zwei Kommissionen eingesetzt. Sie überprüften die Wirtschaftsführung und die pädagogische Arbeit des Clubs. Indessen ließ die Senatsverwaltung den Landesjugendring-Vorsitzenden wissen, daß sein Fonds „Experimentelle Jugendarbeit" so weit aufgefüllt wird, daß der Landesjugendring die Mietbürgschaft für den „hand-drugstore" garantieren kann. Nach einem Dreistundengespräch mit Senatsdirektor Kreft, "hand-drugstore"-Anwalt, LJR-Vorsitzenden erklärte sich der Hausverwalter bereit, eine definitive Antwort nach einer Denkpause zu geben. In einer eiligst einberufenen Pressekonferenz gab der Landesjugendring bekannt, daß er bereit sei, die Bürgschaft zu übernehmen. Jedoch stellte er Bedingungen. Er müsse volle Einsicht in die Bücher nehmen und berechtigt sein, die künftige Wirtschaftsführung und Rechnungslegung zu beeinflussen und zu kontrollieren, damit die Garantie besteht, daß nach einem erstellten Kalkulationsplan und den Auflagen der Wirtschaftskommission auch verfahren wird. Darüber hinaus forderte der Landesjugendring auch seine Beteiligung an den pädagogischen Überlegungen des „hand-drugstore". Hinzugezogen werden sollten hierzu Vertreter der Senatsverwaltung, der Bezirksverwaltung, des Beratungszentrums Kantstraße, dei DRK-Beratungsstelle, des Release-Zentrums.
Geld ja — Einfluß nein
In einer anschließenden internen Gesprächstunde wurden von verschiedenen Seiten erhebliche Bedenken geäußert, ob der drugstore überhaupt in der Lage sei, die angestrebten Forderungen zu erfüllen und die aufgestellte Kalkulation zu realisieren. Bestärkt wurden diese Zweifel noch, als ein Verbandsvertreter mitteilte, nach seiner Einschätzung würden verschiedene Gruppen des drugstore zwar vom „Buh-Mann" Senat Geld annehmen, aber weder die Kooperation mit dem Landesjugendring und Jugendamt realisieren, noch sich in irgendeiner Weise in ihre Arbeit reinreden lassen. Darauf präzisierte der Landesjugendring, daß er die Mietbürgschaft nur übernehmen kann, wenn ihm Einfluß auf die Wirtschaftsführung und die pädagogische Konzeption des Clubs eingeräumt wird. Diese Bedingungen lehnte Club-Geschäftsführer Andreas Jennen kategorisch ab. Seine stärksten Einwände machte er gegen fünf Paragraphen geltend. In ihnen wird gefordert, daß der „hand-drug-store" sich verpflichten solle, aus den laufenden Einnahmen als erstes die Miete für die Monate Januar bis März 1972 zu zahlen, das Prinzip der ehrenamtlichen Tätigkeit seiner Mitarbeiter zunächst zu akzeptieren, wodurch die personellen Kosten und Aufwandsentschädigungen auf 3000 DM monatlich begrenzt werden können. Ferner soll die unentgeltliche Abgabe von Waren auf einen Gegenkaufwert von monatlich 1200 DM monatlich maximal beschränkt werden. Schließlich wird im § 14 dieser Vereinbarung noch fixiert, daß das bestehende Kollektiv des „hand-drugstore" zwar für die inhaltliche Arbeit auch künftig zuständig bleiben, jedoch in wirtschaftlichen Fragen keine Entscheidungsbefugnis haben soll. Hierzu Andreas Jennen: „Wenn ihr wollt unterschreibe ich, aber die Zusicherung, daß wir so verfahren, kann ich nicht geben." Der Landesjugendring fühlt sich an seine Bürgschaftserklärung, die die Grundlage für den Räumungsaufschub gewesen ist, nun nicht mehr gebunden. Andreas Jennen erklärte zur allgemeinen Verblüffung, an dem drugstore ohnehin kaum noch interessiert zu sein. Er werde sich zurückziehen, da er bereits eine neue pädagogische Einrichtung plane. Inzwischen hat sich auch Hausverwalter Stutenbecker entschieden, keinen weiteren Räumungsaufschub zu gewähren — auch nicht, wenn am 15. Februar die rückständige Miete in Höhe von 21 000 DM und die laufenden Mietkosten garantiert würden. Dies hatte Andreas Jennen ohnehin nicht im Sinn. Er wollte am 14. Februar mit dem Geld in der Tasche — falls er es bekomme — mit dem Hausverwalter über den Fortbestand des „handdrugstore nach dem 29. Februar verhandeln und einen Mietvertrag abschließen. Ginge der Vermieter auf seine Forderungen nicht ein, wollte er seine Mietschuld wieder mit nach Hause nehmen. Damit dürften die Würfel endgültig gefallen sein, denn der Gerichtsbeschluß sieht ausdrücklich vor, daß — wenn nicht pünktlich gezahlt wird — „die einstweilige Einstellung außer Kraft tritt und die Zwangsvollstreckung ohne besondere Anordnungen fortgesetzt werden kann." Die Schankkonzession wurde bereits entzogen.
Idealismus reicht nicht
Es wäre nun polemisch, aus dieser mißlichen Entwicklung zu folgern, daß staatliche Subventionen für alle möglichen Bauvorhaben in Millionenhöhe verfügbar seien, aber eine anerkannt gute Sozialarbeit zur Abwendung des Elends ratloser umherirrender Wohnungssuchender Jugendlicher an der lächerlichen Summe von alles in allem etwa 80000 DM scheitert. Und daß ein System, das dieses zulasse, aus sich selbst heraus Revolutionäre gebäre. Mag eine solche Schlußfolgerung auch Musik für manche Ohren sein. Für den Fall des „hand-drug-store" ist sie logisch nicht begründet und deshalb unhaltbar und auch unfair. Denn der „hand-drugstore" ist nicht nur durch seine Milchmädchenrechung in den Konkurs geraten. Er ist vor allem gescheitert an jenen Gruppierungen, die nicht einsehen wollten, daß gutgemeinte finanzielle Hilfe nicht in ein Faß ohne Boden geworfen werden kann, sondern nur unter der Voraussetzung einer realistischen, kaufmännisch korrekten Wirtschaftsführung gewährt werden darf. Wer sich auf diese Weise nicht helfen lassen will, entlarvt sich in seinen politischen Absichten vollends, wenn er der Wahrheit zuwider in einem ominösen Pamphlet die unhaltbare Behauptung aufstellt, an diesem Exempel erweise sich „einmal neu die Macht des Privateigentums im bürgerlichen Staat und die Hilflosigkeit und das Elend staatlicher Jugendarbeit".
Der „hand-drugstore" hätte durch eine Stützungsaktion saniert werden können, wenn diejenigen, die so gern und oft von der Transparenz reden, sie auch für den eigenen Laden zugelassen hätten. Super-Idealismus allein trägt ein — nach wie vor praktikables — Sozialmodell nicht. Ein Quantum praktikablen Verstandes gehört nun mal auch dazu. Um zu verhindern, daß letztendlich die gefährdeten Jugendlichen als die am meisten geschädigten Opfer dieses Lernprozesses aus ihrem Domizil der Geborgenheit auf die Straße der Ausweglosigkeit geworfen werden, hat sich jetzt die Sozialistische Jugend „Die Falken" eingeschaltet. Sie will an einer anderen Stelle in Berlin in mietpreisgünstigeren Räumen den guten Gedanken mit einer neuen pädagogischen Konzeption praktizieren. Unter dieser Perspektive könnte man das Scheitern des „hand-drugstore" sogar noch ein gesunde Pleite nennen.